Wanderung zum Triefstein 1829

Der ungeheure Grund und der triefende Stein, im Herzogtum Gotha

Um dahin zu gelangen, nimmt man von dem romantisch gelegenen, viel besuchten Reinhardsbrunn aus seinen Weg durch die schöne Ebereschen-Allee nach der im Dickicht des Waldes liegenden Ziegelbrennerey und an derselben vorbey bis zu dem Fahrwege, der von Tabarz durch den Wald oberhalb derselben nach Friedrichrode führt, und verfolgt denselben westwärts bis zu der Brücke, auf welcher man über den Bach gelangt, der aus dem ungeheuren Grunde nach Reinhardsbrunn fließt. Von Friedrichrode aus verfolgt man in westlicher Richtung eben denselben Fahrweg gleichfalls bis zu der angegebenen Brücke, die man in etwa 35 Minuten bey einem mäßigen Schritte erreicht.

Am 25. Jul. 1829 ging ich Nachmittags nach 3 Uhr mit meiner Tochter Malwina, meinem Sohn Bernhard und meinem Pflegesohn Pet. Godeffroy, aus Hamburg, in Begleitung eines treuen Führers, der uns einige Wochen früher, Sonnabends den 27. Junius, über den Wolfsstieg, den Fichtenbach, die Tanzbuche, an der Viehtränke vorbey und über die brotteröder Straße auf den Inselsberg und von da wieder zurück auf dem brotteröder Fußpfade nach dem Felsenthale und durch dasselbe nach Friedrichrode geführt hatte, nach dem ungeheuren Grunde und dem triefenden Steine.

Nachdem wir auf jenem Fahrwege bis zu der gedachten Brücke gekommen waren, nahmen wir unseren Weg über dieselbe und auf einer kleinen Wiese an Bache, der uns links blieb, aufwärts und gelangten bald auf einen Fahrweg, der von Tabarz her durch den ungeheuren Grund etwas steil und beschwerlich hinauf auf die oberen Berge führt, und der Holzfuhren wegen immer fahrbar erhalten wird. Auf eben diesem Wege ziehen die Rindviehherden von Tabarz und Waltershausen auf die Bergweiden. Von den Excrementen derselben, womit der Weg und die nahen Bergabhänge bedeckt waren, war die Luft, die an diesem Tage einige 20 Grad Reaum. warm war, mit einem ganz eigenthümlichen Wohlgeruch, der wahrhaft stärkend und mir sehr angenehm war, angefüllt.

Der Weg führte dicht am Bache, über den nach einiger Zeit ein Steg auf seine rechte Seite (von der Quelle ab gerechnet) geht, zwischen jähen Bergwänden, die mit dem üppigsten Nadelholz und zum Theil mit den höchsten und stärksten Edeltannen bekleidet sind, aufwärts zu einem zweyten und dritten Steg und zur Vereinigung zweyer Waldbäche, von denen der eine, rechte, aus den obersten Gegenden ungeheuren Grundes, wo er auf der Pfaffenwiese unter einer Haselstaude als eine starke Quelle hervorsprudelt, bald darauf auf eine zweyte starke Quelle auf eben derselben Wiese und dann nach einige andere mit sich vereinigt; der andere, links, vom triefenden Stein, über welchem er, einige Schritte aufwärts, unter einem Felsen hervorquillt, durch einen engen, steilen Schlund über lockeres Geröll herabkommt, neben welchem ein enger, beschwerlicher Pfad befindlich ist. Nachdem wir etwa eine Viertelstunde zwischen den steilen Bergwänden aufwärts gestiegen waren, hörten und erblickten wir den  Triefenden (triefenigen, wie unser Führer sagte) Stein. Der Anblick desselben überrasche durch seine auffallende Eigenthümlichkeit, Die beiden steilen Bergwände , welche die Bergschlucht bilden, in deren Mitte der Bach hinabrieselt, sind durch eine senkrechte, quer durchstreichende Felswand von etwa 16 Fuß Höhe geschlossen. An derselben fließt oder trieft der Bach. Der 8 – 10 Fuß über demselben links unter einem Felsen quillt, in zwey Strahlen herab. Die ganze Felsenwand, die von hohen Laubbäumen beschattet im Dunkel liegt, ist naß und gewährt den Anblick, als wenn sie triefendes Wasser ausschwitzte. Sie gleicht einem großen Filtrum, dessen oberer horizontaler Theil beide Bergwände mit einander verbindet, und dessen Fläche mit groben Gerölle, zerbrochenen Baumzweigen und Laub überdeckt ist, doch so daß man von einer Bergwand zur anderen gelangen kann.

Ganz nahe unterhalb dem triefenden Steine erheben sich an den beiden, den Bergschlund und den Bach einschließenden Bergwänden zwey hohe, einander gegen über stehende jähe Felsen. Am Fuß des einen befindet sich auf dem rechten Ufer des Bachs ( von dessen Quelle aus gesehen) eine Bank, wo man den Anblick des triefenden Steins in behaglicher Ruhe genießt. Von hier aus führt ein steiler Pfad im Zickzack auf den thurmähnlichen Felsen, auf dem gleichfalls eine Bank ist. Von hier übersieht man mit einem Blick den triefenden Stein links unter sich, an der gegen über sich erhebenden steilen Bergwand den zweyten schroff empor strebenden Felsen, der wie eine Kanzel gebildet ist, die aus der Bergwand mit ihrer vorderen Seite weit hervortritt und auf allen drey Seiten senkrecht in den Grund, in welchem der Bach vom triefenden Steine hinabfließt, hinunter reicht, Nachdem wir auf den ersten Felsen einige Erfrischungen zu uns genommen, unser Blick an den herrlichen Bäumen, meistens Laubholz, an den hohen Bergwänden, gelabt, und nachdem meine Kinder  die Kerne von genossenen Kirschen rund umher in die Erde gesteckt hatten, mit dem Wunsche, um nach Jahren empor gewachsene Kirschbäume da blühen und Früchte tragen zu sehen, gingen wir über den triefenden Stein auf den anderen Felsen, der ein längliches Viereck bildet, dessen senkrechte Wände aus dem Berge kühn hervorragen. Auch auf diesem Felsen, dessen schmale Seite gegen den Bach hinabsteigt, ist eine Bank, auf der wir einige Augenblicke uns am Anblicke dieser romantischen Felsenpartien ergetzten.

Wenn man bedenkt, welche unermeßliche Wassermasse, bey´m Schmelzen des Schnees oder bey starken Regengüssen, von den sehr hohen, steilen Bergwänden, mit unwiderstehlicher Kraft in die tieferen Gegenden sich hinabstürzt, so begreift man leicht, wie in einer Reihe von Jahrtausenden, deren Zahl wir nicht kennen, die engen Bergschluchten und Gründe, so wie die breiteren Bergthäler wie z.B. das nicht weit entfernte, oberhalb Tabarz gegen den Inselsberg sich hinauf ziehende, in seinem unteren Theile anmuthige, in seinem obern schauerlich romantische Felsenthal, von der Gewalt des Wassers , die alles lockere Gestein und alle, aus ihrer allmählichen Verwitterung entstandenen Erde mit sich fortriß, nothwendig haben gebildet werden müssen. Bey´m Anblick des triefenden Steins und der beiden, dicht unterhalb der selben, aus den gegen einander über sich erhebenden Bergwänden steil empor strebenden Felsen überzeugt man sich, daß , freilich nicht die dicht oberhalb dem triefenden Stein entspringende Quelle, sondern die von den höchsten Bergwänden von Zeit zu Zeit niederstürzenden großen Wassermassen, die früher ein zusammenhängendes Ganzes bildenden Felsen, durch Wegräumung ihrer lockern Zwischenmassen von einander getrennt haben. Denn der vom triefenden Stein herkommende, so wie der durch den ungeheuren Grund sich ergießende Bach, wälzen ihre Wasser über Gerölle und zahllose, kleinere und größere Felsenblöcke, und bilden so eine Menge kleinerer Wasserfälle, die mit geringen Aufwand sehr vergrößert und verschönert werden könnten, wenn das Wasser an einigen jähen Stellen in geräumigen Becken gesammelt würde. Aus diesem, von den zahllos umher liegenden Felsblöcken eingefaßten Becken stürzte sich dann das gestemmte Wasser in die Tiefe hinab.

Von der großen Felsenkanzel bey dem triefenden Stein geleitete uns der Führer auf schmalen, jähen Pfaden im Zickzack am Simmens- oder Simmelsberge, der größten Theils mit Laubholz und mit wenigem Nadelholz bewachsen ist, wovon ein nicht geringer Theil durch Windbruch nieder geworfen, dann zerschnitten und in Klastern aufgeschichtet war, bis zu seinem hohen Gipfel hinauf, an dessen Westseite, nicht weit von dem Salzlecke, eine hoch emporragenden Felswand mit einer Ruhebank, sich befindet. Auf diesem erhabenen Standpuncte wurden wir von einer weit ausgedehnten Aussicht angenehm überrascht. Tief zu unseren Füßen sahen wir in den obern Theil des ungeheuren Grundes hinab, der von Tabarz aufwärts von dem Uebelberge, von dem Bärenbruch und vom Tenneberg, auf der Westseite eingeschlossen ist, auf der Ost- und Südseite aber von dem hohen Simmens- oder Simmelsberge begrenzt wird, über den Tenneberg hin erblickten wir den Inselsberg von seiner steilsten Seite. Er stellte sich unseren Blicken so sehr nahe dar, daß wir die beiden Häuser und andere Gegenstände ganz deutlich sehen konnten. Gegen Norden eröffnet sich eine ausgedehnte, von der Abendsonne herrlich beleuchtete Landschaft bis in die weite Ferne. Das Vergnügen, das uns der Anblick einer so mannichfaltig wechselnden, im üppigsten Grün prangenden Bergscene gewährte, mussten wir abkürzen, um den ungeheuren Grund noch bey schöner Abendbeleuchtung zu durchwandeln. Wir verließen also das erhabene Felsen-Siehdichum und eilten auf den jähen Zickzackpfaden am Simmensberge, der sich südöstlich bis zur Tanzbuche erhebt und ausdehnt, in den ungeheuren Grund hinab, ruheten aber immer einige Augenblicke auf den an der Bergwand von Strecke zu Stecke angebrachten Bänken aus.

In dankbarer Erinnerung der süßen Ruhe, die diese uns gewährten, fühle ich mich gedrungen, des Mannes, dem wir die angelegten Bergpfade und die häufig angebrachten Ruhebänke verdanken, eine ehrenvolle Erwähnung hier zu tun. Der Erbauer des Gasthofes zu Reinhardsbrunn, eines herzoglichen Schlosses, im Hintergrunde eines anmuthigen Thales, das sich von dem Dorfe Rödichen und der berühmten Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal, längs mehrerer großer Teiche, zwischen waldigen Anhöhen, bis in die Nähe der (ehemals blühendern und gewerbereichen) Bergstadt Friedrichrode hinzieht, welches Schloß, nebst seinen Umgebungen, von unserm jetzigen Herzog im edelsten Geschmacke verschönert und zu einem der interessantesten Puncte des thüringer Waldes umgeschaffen wird, der Kammerherr und Haus- Oberstallmeister E. L. v. Wangenheim hat sich jenes Verdienst um die Freunde romantischer Waldpartien erworben.

Am Fuße des Simmensberges auf einer und des Tennebergs auf der andern Seite zieht sich bis auf den Kamm, der beiden Berge mit einander verbindet, eine Wiese, die mit dem üppigsten Grün bekleidet ist und den obersten Theil des ungeheuren Grundes bildet. Sie wird die Pfaffenwiese genannt. Auf derselben entspringen in geringer Entfernung von einander zwey Quellen, von denen die oberste und stärkste mitten auf der Wiese unter einer Haselstaude, von anderem Gebüsche umgeben, mit reicher Fülle zwischen Kieseln hervortritt, und in Vereinigung mit jener und einigen unbedeutendern Quellen einen Forellenbach bildet, der den ungeheuren Grund durchströmt und dem vom triefenden Stein herabkommenden Bach auf der rechten Seite in sich aufnimmt. Die Bergwände, die den ungeheuren Grund einschließen, sind mit den schönsten Bäumen bekleidet, auf der linken Seite des Bachs mehr Nadelholz, auf der rechten Seite aber, besonders am Simmensberge, mit Laubholz. Die Berge auf jener Seite gehören zum Forstrevier von Friedrichrode. Wie viele, längst zu fruchtbarer Erde umgewandelten Geschlechter von Menschen und Thieren mögen im Schatten dieser, in jugendlicher Kraft noch fortlebenden Waldriesen, ermüdet vom steilen Felsen- und Kieselpfad, ausgeruht und neue Kräfte gesammelt haben.

Als wir Abends, gegen 7 Uhr, von der Brücke, am Eingang in den ungeheuren Grund, nach Friedrichrode zurückkehrten, wurden wir von der wunderschönen Beleuchtung der Umgebung wahrhaft entzückt. Wie herrlich erschienen die hohen Bäume, deren Gipfel im Goldglanz der Abendsonne prangten. Welch ein Gegensatz gegen die dunklen Schattierungen der dicht stehenden hohen Fichten und Tannen stellte sich unserem Anblicke dar. Auch auf meine Kinder wirkte diese erhabene Naturscene wie mit magischer Kraft. Alle Müdigkeit von einem fast vierstündigen Marsche war verschwunden; wie mit neuer Kraft belebt und gestärkt setzten sie vergnügt unter fröhlichem Jubel ihren Rückweg fort.

Freunden der schönen freyen Natur bieten die vielen anmuthigen und romantischen Thäler, so wie die schön geformten Berger u. die mannichfaltigen Felspartien des thüringer Waldes die angenehmste Unterhaltung dar. Fremde, die aus der Ferne her ihn besuchen und kennen lernen wollen, bedürfen eines Führers, um ohne Zeitverlust und mit Bequemlichkeit die sehenswerthesten Partien aufzufinden. Diesen empfehle ich zu vorläufiger allgemeiner Belehrung ein Werk, dessen Inhalt sie befriedigen wird; es heißt: Der thüringer Wald, besonders für Reisende geschildert, von K. E. A. von Hoff (jetzigem geheimen Conferenzrath) und C.W. Jacobs (Oberconsistorialrath). Gotha bey Ettinger. 2 Bde mit Kupf. Und 2 Kart.  – Bey dieser Gelegenheit erlaube ich mir, noch eine Wunsch, den ich lange im Stillen hege, hier laut auszusprechen. Es fehlen uns noch, wie ich glaube, an einer genauen orographischen Karte der thüringer Waldgebirges, nach seiner ganzen Ausdehnung von der Saale bis an die Nesse und Hörsel, längs der Werra, die uns eine naturgetreue Darstellung aller Berge und Thäler in ihren Hauptzügen und Verzweigungen gewährte. Eine solche Karte kann nur auf die genaueste und vollständigste Localkenntniß gegründet werden. Ein Mann der mit diesen Kenntnissen ausgerüstet zugleich ein ausgezeichneter Kartenzeichner wäre, müßte sich an jene, zwar sehr schwierige , aber auch überaus verdienstvolle Arbeit machen. Vielleicht würde, wenn andere dringende Beschäftigungen ihn nicht hindern, J. C. Bär, ein ausgezeichneter Kartenzeichner, der zu Stielers´s Karte von Deutschland in 25 Bl.- vortreffliche Karten geliefert hat, zu Bearbeitung und Herausgabe einer solchen Karte des thüringer Waldes, in drey bis vier Blättern, sich entschließen ; ich bitte ihn darum, wenn anders seine Geschäftsverhältnisse es ihm gestatten.

G. den 31. Jul. 1829           d.R.

Eine Wanderung zum Triefstein 2024

Diesen alten Zeitungsartikel, geschrieben vom Gothaer Redakteur Johann Friedrich Hennicke, hatte ich schon vor Jahren im Internet gefunden. Einen Versuch den Triefstein zu erwandern gab es auch schon. Damals bin ich am hochgewachsenen Gras und meinem Schuhwerk auf halbem Weg gescheitert. Heute aber am 21. Mai 2024 war ich wieder mit dem Fahrrad im ungeheuren Grund unterwegs. Spontan entschlossen nun den triefenden Stein zu finden, hatte ich mein Fahrrad neben der langen Bank im Grund an der Weggabelung abgestellt (Punkt 2 auf der Karte) und bin zu Fuß aufwärts gewandert. Naturfreund Winfried Kleinsteuber erzählte mir im letzten Sommer, daß es sich nur bei wirklich feuchter Witterung lohnt. In diesen Tage nach reichlichen Regenfällen ist dies der Fall. Der Pfad ist nicht lang aber leider auch sehr feucht und matschig. Manchmal läuft man besser im Bach. Es lohnt sich aber und nach kurzem Anstieg, gab es nicht nur wie vermutet eine Quelle im Felsen sondern einen wirklich schönen ca. 4 – 5m hoher Wasserfall zwischen den Bäumen zu entdecken. Die mächtigen Felsen rechts und links des Weges stehen genau so wie beschreiben dort. Meine Füße waren leider komplett im Matsch versunken. Darum habe ich keinen Versuch unternommen auch noch die Felsen zu besteigen. Ich erwarte dort keine Bänke mehr. Trotzdem wäre es schön unsere Naturschönheiten mit etwas Wegebau dem heutigen Wanderer näher zu bringen. – liebe „Kurverwaltung“ . Man rühmt sich der Beschilderung in Friedrichroda, die von einer Fremdfirma mit wenig Sinn und Nutzen nach einer 0815 Stadtmöbelierung aus dem Katalog, umgesetzt wurde. War aber so teuer als hätte man einen freischaffenden Künstler beauftragt. Große Pfützen auf dem Oberbüchig genau vor dem Ausgang der Marienhöhle sieht man nicht.